Die putzige kleine Johanna

17. 02. 2012 | Feste feiern, Philosophie | 4 Kommentare

Die putzige kleine Johanna steht zitternd vor der Tür des Wirtshauses und zieht umständlich an ihrer Zigarette. Trotz dick gepolstertem Wintermantel friert sie erbärmlich und bereut es, nicht zum ersten Mal an diesem Abend, dass sie sich von ihren Freundinnen nach dem Faschingsumzug noch hat breitschlagen lassen, die gemütliche Couch gegen ein viel zu knappes Leoparden-Kleidchen mit süßen Ohren und mörderischen Highheels einzutauschen und hier im tiefsten Bayern, da wo Teile der Bevölkerung sicher noch mit Fellen bedeckt durch die Wälder schleichen, eine Faschingsparty zu besuchen.
Während sich ihre Freundinnen verzweifelt betrinken, um die ungeschlachteten Anbalzversuche der jungen Eingeborenen zu ertragen (Megst amoi an meina Keibemilleziezn ziang? (Der Autor schwört, sich das leider nicht ausgedacht zu haben, sondern dass er das tatsächlich mit eigenen Ohren hören musste), bleibt der putzigen kleinen Johanna diese Fluchtmöglichkeit heute verwehrt, sie hat beim Strohhalmziehen verloren und muss den Chauffeur mimen.

Johanna hat nie verstanden, warum die Deutschen Fasching ausgerechnet in der kältesten Jahreszeit feiern. Als durchschnittlich gebildete junge Frau weiß natürlich auch sie, dass das irgendetwas mit einem heidnischem Brauch zu tun hat (Es hat immer irgendetwas mit den armen Heiden zu tun. Ostereier wegen den fruchtbaren Hasen, Nikolaus wegen einem alten Waldschrat, Halloween wegen geilen amerikanischen Teenagern).
Dämonen des Winters austreiben.
Oder so.
Trotzdem findet es die putzige kleine Johanna nicht fair, dass es zur selben Zeit auf der anderen Seite des Globus 30 Grad hat und sie dort nackt herumlaufen könnte, nur mit Körperfarbe bemalt, sich keine Sorgen machen müsste, dass sie, wenn sie nach Hause geht, auf dem Heimweg erfriert.
Ebenso versteht sie nicht, warum Fasching in Deutschland einzig mit Alkohol zu funktionieren scheint.
Im Wirtshaus hinter ihr steigt der Rhythmus im Blut analog zum Inhalt der Pilsflaschen lokaler Brauereien und der billig gemixten, ewig gleichen Longdrinks aus rauen Plastikbechern. Nur den wenigsten käme es in den Sinn, eine Tanzfläche unter einem Promill Treibstoff zu betreten.
Johanna war noch nie in Rio, hat aber genaue Vorstellungen, wie es da sein muss.
Rauschend.
Bunt.
Lebensfroh.
Erotisch.
Exotisch.
Versaut.
Flirrend.
So ganz anders als im Laden hinter ihr jedenfalls. Und der kleinen Johanna flirrt der Kopf höchstens vom Mief und den hohlen Partyschlagern, welche die Band mit mehr Herzblut als Talent zu intonieren versucht. Und dann die Kostüme! So putzig die kleine Johanna aussieht, so faustdick hat sie’s hinter den Ohren. Sie hätte kein Problem damit, sich ein Federgestrüpp auf den Rücken zu schnallen und im Mikrobikini über die Tanzfläche zu wirbeln. Aber hier fällt sie unter den ganzen Schlümpfen, Handwerkern, Rockabillie-Tussn und Agrarökonomen bereits mit ihren Overknees auf, und so gern sie sonst im Mittelpunkt steht, fühlt sie sich deplatziert. Sie würde sich ja wirklich mehr Mühe mit ihren Kostümen geben, aber der Trend hier scheint nach wie vor jener zu sein, das man sich eben etwas überstülpen muss, weil, ja weil da eben dummerweise gerade dieser Fasching ist und das somit der aktuelle Vorwand für das wochenendliche Besäufnis. Irgendein schlauer Marketer des Hauses Flötzinger hat das übrigens mal erkannt und potthäßliche Gratis-Strohhüte mit Werbeband unters Volk gebracht, die vor allem von den männlichen Partygästen regelmäßig mit einem gelungenem Kostüm verwechselt werden und für Mädchen wie die putzige kleine Johanna zielsichere Indikatoren sind, von besagten Kerlen tunlichst die Finger zu lassen.

Als die Johanna fertig geraucht hat, geht sie zurück ins Wirtshaus, verstaut ihren Mantel, rückt ihr Kleid zurecht und versucht unauffällig, es etwas in die Länge zu ziehen, da fällt ihr der Kerl mit der Zirkusdirektor-Jacke auf. Er lehnt gelangweilt an einer Wand und sieht den Betrunkenen beim Tanzen zu, schwankt zwar selbst etwas als er das Gewicht von einem Bein aufs andere verlagert, fängt aber plötzlich ihren Blick und, er weicht ihr nicht aus. Sie fasst das als Einladung, geht zu ihm hinüber, sieht im tief in die Augen und küsst ihn.
Ganz spontan, ganz einfach, ohne Geplänkel, ohne Gestelze.
So kann Fasching auch sein.

Und da ist auch die putzige kleine Johanna plötzlich ganz froh.

4 Kommentare

    • Andi

      Ach, manche Geschichten schreibt eben das Leben selbst. ;- )

Schreib was dazu!

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