Institut zur Bekämpfung des Sprachverfalls

07. 12. 2011 | Die Welt, einfach erklärt | 4 Kommentare

Ich bin, weiß Gott, kein Perfektionist. Meine Schmetterling-Mentalität lässt mich meist von einer metaphorischen Blüte zur nächsten hüpfen, dahin, wo es gerade am vielversprechendsten duftet und die buntesten Farben gedeihen. Ich liebe Chaos und Unordentlichkeit und die schönsten Projekte sind jene, die auf den letzten Drücker ihren erfolgreichen Abschluss finden. Es gibt allerdings einen Bereich, in dem ich eine mittlerweile nahezu krankhafte Akribie entwickelt habe: bei der Verwendung und Pflege der deutschen Sprache. Und damit meine ich weniger meine Achilles-Ferse, die Tippfehler, sondern vielmehr den allgemein zu beobachtenden Verfall in Schrift und Sprache.
Ich lege peinlich Wert darauf, alle meine Kurznachrichten, Emails und Kommentare sauber auszuformulieren.
Im Geschriebenen Abkürzungen zu vermeiden und bei der Ansprache Versalien zu benutzen.
In der Aussprache auf „Keine Ahnung“, Esel-ich-erstnennung und auf Floskeln wie „eigentlich“ zu verzichten.
Und das funktioniert prima, es ist eine reine Gewohnheits- und Übungssache.

Die Bayern

90% von dem, was ich täglich sage, gebe ich im Dialekt von mir. Ich mag den bayerischen Dialekt, er ist warm und rund, entspannt und ich muss meinen Mund viel weniger verrenken als wenn ich hochdeutsch spreche. Das führt bei mir zwar zu einem mittlerweile charakteristischem Nuscheln, einen schönen bayrischen Satz sage ich aber auch gerne zweimal. Und betont sei hier das sagen. Denn, für mich ist Bayrisch keine Schriftsprache. Schon gar nicht eine, die in modernen Medien wie sozialen Netzwerken und Kurznachrichten auf Mobiltelefonen zum Einsatz kommen sollte. Denn wie im gesprochenem Dialekt, für den es unzählige Färbungen gibt (oft sprechen schon die Leute im Nachbarort ein Wort ganz anders aus) existiert auch für das Schriftliche kein Regelwerk. Und das verleitet die bayrischen Möchtegern-Schreiberlinge zu einem wüsten Kauderwelsch, bei dem sich mir regelmäßig der Magen nach aussen stülpen möchte. Der Versuch, ein gesprochenes Wort im Dialekt in ein schriftliches umzubauen, geht meist katastrophal schief.

Es beginnt ja schon damit, ob es denn ‚bayrisch‘, ‚bayerisch‘ oder vielleicht gar ‚bairisch‘ heißt?
Vor Ludwig I., dem erklärten Philhellenisten, war es ‚bairisch‘, um die Verwirrung komplett zu machen, verwenden die Sprachwissenschaften heute noch die alte Schreibweise. Unter anderem deshalb, weil der bairische Sprachraum viel größer als das eigentliche Land Bayern ist. Zum Beispiel sprechen wir in Südbayern Mittelbairisch, das originäre Südbairische hat sich nach Tirol und Südtirol verlagert.
Das Y rührt von besagtem Ludwig I. her, der mit Erlass vom 20. Oktober 1825 die neue Schreibweise einführte.

Und was das zusätzliche ‚e‘ betrifft: ohne ‚e‘ ist umgangs-, mit ‚e‘ ist standardsprachlich, letzteres findet nur in offiziellen Namen Verwendung (zum Beispiel „der Bayerische Rundfunk“, „der Bayerische Wald“).

Ich will versuchen, die ganze Komplexität des Themas mit ein paar einfachen Beispielen darzulegen. Nehmen wir die Phrase sie können es. Je nach dialektaler Ausfärbung könnte man sie kînans (i lang) oder sie kinans (i kurz) schreiben, alternativ auch das i zum e machen (sie kenans), natürlich in beiden Varianten, einige werden auch nicht sie, sondern se schreiben, schon alleine das ergibt acht mögliche Varianten. Und jetzt haben wir’s hier noch nicht einmal mit einem der gefürchteten Diphthongen und Sonderlauten zu tun: ich komme/wir kommen wird entweder zu i kimm/mia kemma(n) oder i kumm/mia kumma(n), noch vertrackter wird’s mit den Sonderzeichen, wie sie beispielsweise bei ich fahre/wir fahren zum Einsatz kommen würden: da heißt’s dann nämlich korrekt i få/mia fåma, oder aber auch i foa/mia foan.

Die Social-Networker

Natürlich wird’s nun den ein oder anderem kaum mehr auf dem Stuhl halten, ich kann das Zappeln förmlich spüren, wie es ihn hin und her reißt und er am liebsten heraus posaunen möchte: „Mir doch so was von scheissegal, ich schreib‘, wie mir der Schnabel gewachsen ist, wichtig ist doch nur, dass mich die anderen verstehen!“

Das scheint ohnehin das Credo der aktuellen Generation Facebook zu sein: Die Form, in der etwas geschrieben wird, ist völlig nebensächlich, solange man noch ungefähr die Aussage entziffern kann.

Auch ein beliebtes Element der Reduktion: Der Verzicht auf jegliche Interpunktion. Wozu braucht’s schließlich Satzzeichen, die halten nur auf, in unserer schnelllebigen Zeit wieder eine Sekunde Zeit gespart, zusätzlich zu den zwei Sekunden, die es gebraucht hätte, um den Erguss, dessen man sich gerade entledigt hat, noch einmal quer zu lesen.

Es scheint allerdings eine unmittelbare Folge des Satzzeichen-Sparens zu sein, dass man WENN man dann doch mal eins einsetzen möchte, zwanghaft gleich mehrmals auf die entsprechenden Tasten hämmert. So entstehen lustige !!!- und ???- Ketten, ich stelle mir den Verursacher dann immer vor, wie er mit wirren Haaren nackt und mit Blut beschmiert, mit irrem Blick auf dem Boden vor seinem Computer oder Mobiltelefon sitzt und den Bildschirm anschreit. Wahrscheinlich haben sich in solchen Leuten die armen Satzzeichen angestaut und wenn sich ihnen dann tatsächlich mal die Gelegenheit ergibt, auszubrechen, veranstalten sie gleich eine Stampede.

Und da ich mich nun fröhlich auch selbst wieder in Rage geschrieben habe, bekommen auch die ganzen Abkürzer noch ihr Fett weg. Egal wie oft man mir weismachen möchte, mfg sei mittlerweile salonfähig, ich halte es weiterhin mit meiner Meinung, dass es nach wie vor keine Ausrede für faules Stottern gibt, wenn man nicht gerade Mitglied einer berühmten deutschen HipHop-Band ist. Wer mich an-lol-t oder an-rofl-t muss sich darauf gefasst machen, dass ich den Kammerjäger damit beauftrage, ihn in die Untiefen seines World of Warcrafts oder aus welcher sonstigen Brutstätte solcher Chatfloskeln er auch entflohen ist, zurückzuschleifen.

Es ergibt einen Sinn

Ich bin mir durchaus der Tatsache bewusst, dass bereits wieder mehrere Finger auf mich gerichtet sind, an deren anderem Ende ein Hirn „Korinthenkacker“ denkt. Nur kann (und will) ich nicht aus meiner Haut heraus. Meine Fantasie lässt durchaus die Vorstellung einer Dystopie zu, in der sich Menschen nur noch gegenseitig besabbern, während sie sich anlallen und mit Händen und Füßen zu verständigen versuchen, weil ihnen jedes Gefühl für Sprache verloren gegangen ist. Schriftlich kommuniziert wird nur noch mittels Buchstabensalat, weil enei Sutide eneir elgnihcesn Uvinisterät gzegit hat, dsaa es nchit witihcg ist, in wlecehr Rneflogheie die Bstachuebn in eneim Wrot snid.
Wir werden dadaistische Züge entwickeln, ohne zu verstehen, was wir da von uns geben, und in ferner Zukunft werden Außerirdische unsere Ruinen ausgraben und Spuren einer Zivilisation entdecken, die sich zurück zu ihren Wurzeln entwickelt und sich an ihrem Ende wieder mittels Höhlenmalerei verständigt hat, natürlich alles digital, mittels Gesichtserkennung auf dem iPad.

Ich bete also inbrünstig für mehr Sensibilität fürs geschriebene und gesprochene Wort, egal in welcher Sprache und in welchem Dialekt, die armen Wörter können sich nämlich nicht wehren, wir müssen der vom Aussterben bedrohten Kunst der sauberen Sprache unter die schmächtigen Achseln greifen.
Ausser, Ihr habt noch Eure Felle im Schrank.

Und schon der Herr Konfuzius wusste:

Wenn die Worte nicht stimmen, dann ist das Gesagte nicht das Gemeinte. Wenn das, was gesagt wird, nicht stimmt, dann stimmen die Werke nicht. Gedeihen die Werke nicht, so verderben Sitten und Künste. Darum achte man darauf, daß die Worte stimmen. Das ist das Wichtigste von allem.

4 Kommentare

  1. irgendwer

    Schade, dass deinem ansonsten sehr gut beobachteten und begründeten Text ein paar orthografische Schnitzer viel an Glaubwürdigkeit nehmen.

    Richtig heißt es E-Mail, außer, fürs und euch (klein).

    Servus

    ein anonymer Mitleser

Schreib was dazu!

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