Wir haben ja nur zufällig erfahren, dass hier heute dieses Konzert ist!“
„Aber wir haben doch viel Werbung in Zeitungen gemacht!“
„Zeitungen lesen wir nicht.“
„…und es wurden auch in vielen regionalen Radiosendern Beiträge gesendet!“
„Radio hören wir nicht.“
„Ja woher wussten Sie denn dann eigentlich dass hier heute ein Konzert stattfindet?!“
„Wir haben zufällig ein Plakat gesehen…!“
„…!“
Die nachfolgenden Gedanken habe ich mir nach den ersten Brainpolder Kulturtagen am vergangenen Wochenende gemacht. Das ist eine Veranstaltung, die ich mit ins Leben gerufen habe und auf der wir dank phänomenaler Connections und vielen perfekt ineinander greifenden Zahnrädchen zwei absolute Ausnahmekünstler nach Bad Feilnbach holen konnten: am ersten Abend waren das Attwenger, ein österreichisches Duo, das seit 25 Jahren neo-anarchische Volksmusik spielt, sich derzeit auf Tour befindet und bei uns einen fulminanten Zwischenstopp eingelegt hat. Am zweiten Tag haben wir das Zither Manä-Trio präsentiert, und obwohl der ja eher älteren Generationen einen Begriff sein dürfte, hat er auch mich mit seiner E-Zither und seinem für einen knapp 70jährigen superchilligem Auftreten mehr als beeindruckt. Alle Künstler waren an beiden Tagen sehr nahbar, gut drauf und haben sich, den Helfern und den Gästen eine wirklich gute Zeit beschert. Das Wetter hat größtenteils mitgespielt (der Sandsturm am Samstag trug allenfalls zur Atmosphäre bei ;-), die Location war ein Traum und die Stimmung unglaublich gut.
Nur: unter all den Gästen haben sich kaum Einheimische eingefunden. Die Besucher kamen von überall her, nur die Feilnbacher konnte man an einer Hand abzählen.
Woran lag das?
Wenn man sich exemplarisch einen typischen Feilnbacher Ureinwohner herauspickt und ihn frägt, was er denn so von seinem Ort hält, bekommt man in der Regel eine Antwort nach dem Schema: „Ja schön ist’s schon hier, aber halt nie was los. Den Leuten wird nix geboten, es gibt kein Gemeinschaftsgefühl und früher war eh alles besser.“
Diese Antwort wird erfahrungsgemäß etwas divergieren, je nachdem in welchem Ortsteil man seine Frage stellt. Denn ein Auer wird sich sicherlich euphorischer äußern als ein Feilnbacher, aber im Kern bleibt das diffuse Gefühl: „hier rührt sich einfach nichts (mehr)“.
Das Paradoxe ist aber nun: bequemt man sich zu einer der zahlreichen Anschlagtafeln in der Gemeinde oder bemüht gar das Internet in Form der Feilnbach-Homepage oder seiner Facebookseite wird man schnell feststellen: hier ist sehr wohl etwas geboten, und das nicht zu knapp. Kaum ein Wochenende, an dem nicht mindestens eine Veranstaltung stattfindet. Nur: scheinbar sind es die falschen Veranstaltungen. Egal ob Kulinarisches Kino, Bad Feilnbacher Almrausch oder die Brainpolder Kulturtage: Einheimische sieht man bei solchen Events so gut wie nie und wenn, dann trifft man hier stets die üblichen Verdächtigen. Das sind allesamt Angebote, die durchaus auf einem hohen Niveau, sei es nun kulturell oder organisatorisch, aufgezogen werden, aber zu den Bürgern dringen sie nicht durch. Warum ist das so? Warum sind beispielsweise Auftritte des Feilnbacher Theatervereins ein lokaler Straßenfeger, eine Vorführung verschiedener Kurzfilme nebst Autorenlesung auf der Hoferalm jedoch nicht? Warum strömen die Leute ins Raublinger Starkbierfest oder nächste Woche auf die Laufstallparty, lassen aber ein Attwenger-Konzert links liegen?
Für die Beantwortung solcher Fragen müsste man glaube ich ganz unten bei der Bevölkerungsstruktur ansetzen. Sich ansehen, wer denn eigentlich in einer kleinen, ländlichen Ortschaft wohnt und warum er das tut. Heruntergebrochen dürfte es hier nur drei Prototypen geben:
- jene, die immer schon auf dem Land leben und niemals in einer Großstadt wohnen möchten
- die Stadtflüchtigen oder Urlauber, die Ruhe auf dem Land suchen
- die jungen Unentschlossenen, die den Absprung noch nicht geschafft haben.
Den überwiegenden Teil stellt sicher der erste Kreis. Und ich behaupte jetzt einfach mal: alles Unbekannte und Neue hat in dieser Welt keine Chance oder wird nur zögerlich integriert, dann, wenn es sich bewährt hat. Ohne den Edelweißern die Butter vom Brot nehmen zu wollen: die Leute besuchen ihre Vorstellungen, weil sie die Schauspieler kennen und wissen, dass auch die anderen Feilnbacher sich Karten kaufen werden und man dann was hat, über das es sich ratschen lässt. Und im Falle des extrem populären Theaterfaschings kennen die Besucher sogar den Inhalt der Stücke und müssen sich auf keine großen Überraschungen gefasst machen. Ähnlich verhält es sich mit allen anderen erfolgreichen Events, sei es nun das (Raublinger) Starkbierfest, die Lichterserenade oder der Nachtflohmarkt. Alles großartige Veranstaltungen, bewährt und ohne Experimente.
Spielt ein Veranstalter nicht nach diesen Regeln und plant sein Event an dieser Zielgruppe vorbei, schießt er sich quasi selbst ins Bein. Feilnbach ist nicht München und umgekehrt. Eine für innovative Konzepte bittere Erkenntnis, aber eben auch eine notwendige.
Die Risikoscheu und der Vorbehalt vor Neuem ist zwar ein tragender Faktor, aber sicherlich nicht der einzige. Anders als in einer Großstadt, in der sich die Leute untereinander und auch die Veranstalter in den seltensten Fällen kennen, spielen auf dem Land auch Sympathien eine große Rolle und was eigentlich zur Zerstreuung oder Unterhaltung gedacht ist, gerät hier viel zu schnell zum Politikum. Das steht auch dem oft beweinten und fehlendem Gemeinschaftsgefühl im Weg. Denn viel zu oft mag der X den Y nicht und der Z geht da nicht hin, weil ja vielleicht der V da sein könnte und der W gönnt dem U nicht, dass der da jetzt so ein Event abzieht.
Was sich für mich dadurch allerdings nicht erklärt ist das Phänomen, warum die Selbstwahrnehmung der Einheimischen immerzu eine Unterhaltungsflaute in Feilnbach proklamiert. Das kann eigentlich nur daran liegen, dass der Fokus ausschließlich nur auf solchen Events liegt, die einen selbst interessieren und die Gesamtheit des Angebots aussen vor bleibt. Es stellt sich also keiner hin und sagt: „In Feilnbach ist zwar ein Haufen geboten, aber das meiste davon ist halt nix für mich“, sondern die pauschale Aussage lautet stattdessen: „Nix los in diesem Kaff“.
Dass die mangelnde Innovation aber auch immer öfters nach hinten los geht, zeigt sich an den Beispielen vieler, ehemals beliebter Veranstaltungen in und um Bad Feilnbach. Ich brauche an dieser Stelle gar keine Namen nennen, jedem Ortskundigem dürften aus dem Stegreif mindestens drei Feste einfallen, die früher ein Pflichttermin waren und heute nur noch ein Schatten ihrer selbst sind. Weil sie sich todgenudelt haben. Stehen geblieben sind und Angst hatten, mit der Zeit zu gehen.
Aber irgendwie passt das auch zu Feilnbach. Eine meiner Lieblingsstellen aus dem Dirndl Swinger ist eine, die ich meine Wahlheimat in meiner Wahrnehmung sehr treffend charakterisiert:
Bad Feilnbachs Herz schlug nicht nach dem Puls der Zeit. Seinen Venen fehlte eine sauber definierte Gegenwart, und so mäanderte es irgendwo zwischen Vergangenheit und Zukunft dahin, stets unentschlossen, ob nun Fort- oder Rückschritt die bessere Alternative war. Vielleicht lag genau in dieser Ambivalenz Bad Feilnbachs Charme verborgen. Von seinem Standort irgendwo zwischen München und Österreich, zwischen Kur und Gewerbe, Brauchtum und Wellness-Oase lauschte der kleine Ort den verlockenden Reizen der Zukunft, behielt aber vorsichtshalber immer mindestens einen Fuß in der Vergangenheit, deren fester Boden Sicherheit und Ruhe versprach.
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