Mit dreiunddreißig kommt auch der Mann in ein Alter, in dem sich die Akkus nicht mehr ausschließlich mit Alkohol aufladen lassen. Und weil ich nicht als pummeliges Rosinchen enden will, das allenthalben im Türrahmen hängen bleibt, habe ich dieses Jahr das Sporteln wieder entdeckt. Und bin das erste Mal in meinem Leben auch konsequent dran geblieben. Das hat nicht nur den schönen Nebeneffekt, dass ich nun mein T-Shirt ausziehen kann ohne mich vorher in eine höchst unbequeme und die Atmung behindernde Pose werfen zu müssen, nein, seither fühle ich auch bedeutend, nun ja, jünger.
Ähm.
Unlängst war ich, völlig untypisch für mich, um halb neun Sonntag morgens nach einer halbdurchzechten Nacht im Studio. Verstörend, wie es da um diese Zeit, an einem Feiertag, schon zugeht. Wo ich mich noch müde und zerknautscht, nach Ausdünstungen der Nacht und zigarettenrauch-müffelnd in die Umkleide schleppe und mich in mein Sportzeuchs quäle, fliegen die Fitness-Junkies ein wie Bienen in ihren Stock und besteigen elanvoll das Übungsgerät. Ich entscheide mich für eins der Fahrräder von dem aus ich auf einem TV-Gerät kleinen Pinguinen dabei zuschauen kann, wie sie von albatross-ähnlichen Geiern gefressen werden und beginne, müde zu strampeln. Von meinem Platz habe ich direkte Einsicht auf eine Klimmzug-Station, an der sich aufgepumpte Muskelshirt-Träger stöhnend und mit anschließend bemüht lässigem Blick ihre bereits viel zu dicken Oberarme weiter aufblasen.
Ich würde gerne wissen, wann im Leben eines Bodybuilders der Zeitpunkt kommt, zu dem ihm der Sinn für einen schönen Körper abhanden kommt. Ab dem dann nur noch das Muskel-Fett-Verhältnis zählt und wie viele Datteln man wann am Tag frisst und Eiweiß-Präparate runterwürgt.
Die Reise der Pinguine ist zu Ende und Pocahontas kommt. Nein, leider nicht zum Trainieren, sondern auch im TV. Mir läuft die Soße in Strömen runter, da will ich nicht auch noch der sexy Indianerin beim Durch-den-Wald-hüpfen zusehen. Links und rechts von mir strampeln reihenweise angespannt dreinblickende Menschen vor sich hin, starren ab und an verstohlen auf ihren Bauchansatz und leiden anschließend still weiter. Zur Erinnerung: Es ist gerade mal neun Uhr in der Früh. Ganz besonders eindrucksvoll finde ich ein sicherlich hunderfuchzig Kilo schweres Mädel, das ihren Bauch kaum zwischen Sitz und Lenkstange ihres Fahrrads unterbringen kann, aber trotzdem stoisch, zwar langsam, aber unermüdlich, der Blick ins Leere gerichtet, vor sich hinstrampelt.
Überhaupt, die Sache mit dem Blick.
Auch hier herrschen im Fitness-Studio eigene Gesetze. Ich wechsle zum Zirkel-Training, genau das richtige für meine geistige Verfassung. Eine Minute trainieren, Gerät wechseln, trainieren, Gerät wechseln. Ganz einfach. Mir gegenüber nimmt ein Mädchen Platz, das sicherlich gerade diesem einen Eric Prydz-Video entstiegen ist. Leggins mit Overknee-Strümpfen, hautenges Spaghetti-Top mit sich abzeichnendem Sport-BH. Meine Laune bessert sich schlagartig. Das Mädel hat einen dunkeln Taint und schaut so unglaublich böse und abweisend drein als wäre sie zu einer Zwangshochzeit mit mir verdonnert worden. Da ich bei weitem noch nicht auf Betriebstemperatur angelangt bin, ignoriere ich die Dame so gut es eben geht, lege auch nur unwesentlich mehr Gewicht auf als ich sonst stemme und begnüge mich damit, sie aus den Augenwinkeln zu beobachten. Einem vorbeilaufenden Kerl nach dem anderen fällt bei ihrem Anblick die Kinnlade herab, ihr Blick wird immer finsterer und finsterer. Die hat wohl noch nichts davon gehört, dass Lachen, auch beim Training, die Lebensqualität ganz immens steigern soll.
Ich werde es ihr aber auch nicht sagen.
Ihr GAU muss dann wohl ungefähr zu dem Zeitpunkt stattgefunden haben, als, wie unvorstellbar ist das eigentlich, es tatsächlich einer wagt, sie anzusprechen! Ich habe nicht gehört, was genau er ihr gesagt hat, aber sonderlich erfolgreich war er wohl nicht, der Kürze seines Aufenthalts in ihrem Radius nach zu urteilen. Irgendwie tut sie mir leid. Sie konnte ja nicht ahnen, dass nippelbetonendes Outfit die Männer derart in Wallung bringen würde. Dumme Kerle, dumme Evolution.
Nach einer weiteren Runde habe ich keinen Bock mehr.
Weder aufs Trainieren noch auf den Mikrokosmos Fitness-Studio. Ich schleppe meinen nun doppelt geschundenen Körper nach Hause. Unterwegs überschlage ich noch, ob ich genug Kalorien verbrannt habe um einen Abstecher über McDonalds rechtfertigen zu können, kann diesem Selbstbetrug am Ende aber gottseidank widerstehen.
Pocahontas ist daran nicht ganz unschuldig.
Und immerhin ist ja Sonntag.
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