Inside Buddhism

31. 08. 2016 | Reisen | 2 Kommentare

A life is like a garden.
Perfect moments can be had,
but not preserved, except in the memory.“
(Leonard Nimoy)

Das International Meditation and Dhamma Study Centre Rockhill Hermitage in Wiegirikanda hatte nichts mit dem gemein, was ich mir unter einem Kloster vorgestellt hatte.
Keine Steinbänke und -betten, keine schweigsamen, betenden Mönche, keine Trocken- oder Kargheit.
Vielmehr schlummerte das Rockhill auf einem Hügel mitten im Urwald und der Dschungel war ziemlich erfolgreich darin, sich Stück für Stück all das zurückzuholen, was die Menschen ihm mühevoll abgerungen hatten.
Auf Seiten des Klosters: ein zahnloser und sehr arbeitsscheuer Hausmeister, der sich auf seine alten Tage kein Bein mehr ausreißen wollte.
Auf Seiten des Dschungels: Wucherndes Unkraut, Feuchtigkeit, Hitze, unzählige Insekten wie Ameisen, Spinnen und Mücken, Würmer, Raupen, Blutegel, handtellergroße Schmetterlinge, Vögel, Affen, Hörnchen, Wildschweine und Marder.
Und unendlich viel Zeit und Geduld.
Ein schöner, wildwuchender Garten bildete das Herz zwischen den Gebäuden, von den sich manchen an riesige, schwarze Findlinge schmiegten, die Adern des Gartens bestanden aus vielen kleinen Treppchen und Trampelpfaden, einer davon bis zum Gipfel des Hügels mit famoser Aussicht ins Umland. Meine Zelle war ein Biotop und beherbergte neben den obligatorischen Geckos ein ganzes Ameisenvolk und vierzehn Spinnen. Vor meiner Tür nisteten seltsame Minibienen und auf meinem Klo wohnte ein weiteres Ameisenvolk und ein aufdringlicher Frosch.

Als ich das Kloster nach einer siebenstündigen Zugfahrt von Ella nach Kandy und einer weiteren Stunde im Tuk Tuk (letzteres größtenteils in Kandys unerträglichem Verkehr feststeckend) erreicht hatte, staunte ich zunächst nicht schlecht, denn irgendwie musste ich bei Annes und Sams Erzählungen überhört haben, dass der Laden hier von Nonnen geleitet wurde. Kahlrasierte, in dunkelrote Roben gehüllte Nonnen, wohlgemerkt, die nur auf den zweiten Blick als Frauen auszumachen waren. Schon bei der Begrüßung wurde ich von Schwester Dhammachari darauf hingewiesen, dass der Abt des Klosters, der sehr ehrwürdige Bhante Kassapa, vor einem Monat dahingeschieden und die Nachfolge weder geregelt noch beschlossen worden war und sich alle noch in schockstarrender Trauer befänden. Die unmittelbare Konsequenz für mich: kein Meditationskurs, sondern ein individuelles Retreat. Sprich, ich bekam einen Stundenplan ausgehändigt, an dem ich mich orientieren konnte, aber nicht musste. Und wenn ich Fragen hätte, könne ich die jederzeit anbringen. Ausserdem stand einmal täglich ein Dahrma-Talk auf dem Programm.
Für mich war das okay.
Ich glaubte ja bereits zu wissen, wie man meditierte, bisher hatte es mir immer nur an Disziplin gefehlt und an einem Ort wie diesem hatte ich nun keine Ausreden mehr.
Ausserdem bedeutete die Trauerphase, dass das Kloster keine Buchungen aus dem Internet an- und nur aufnahm, wer so wie ich einfach frech vor Ort einfach aufschlug.
Mangels anderer Gäste hatte ich also den ganzen Nordtrakt der Anlage nebst dem Aussenbad (und -klo) für mich alleine. Viel wichtiger war jedoch, dass ich bereits bei meiner Ankunft instinktiv gespürt hatte, dass es sich hier um einen unglaublich kraftvollen Ort handelte und ich mich sofort „richtig“ und aufgehoben gefühlt hatte. 

Den Nachmittag nach meiner Ankunft verbrachte ich damit, mich einzurichten. Die deutsche Effizienz ging wieder einmal mit mir durch und ich reparierte zuerst die Klospülung und die zersprungene Waschschüssel mit meinem mitgebrachten Panzertape. Dann erklärte ich den Ameisen im Bad den Krieg und entschied die erste Schlacht für mich. Flugs noch die überfällige Wäsche waschen und zum Trocknen aufhängen, dann ins weiße Gewand geschlüpft und hinunter in den Gemeinschaftsraum gehoppelt. Dort erwartete mich zwar kein Abendessen, dafür aber tatsächlich noch drei weitere Gäste.
Die junge Christie aus Australien, die ihren zehntägigen Aufenthalt schweigend verbrachte.
Der fünfzigjährige Rainer aus Deutschland mit den traurigen Augen und einem tätowiertem Dämon auf seinem Oberarm, eine Jugendsünde, die er nach eigener Aussage über alles hasste und dennoch als Teil von ihm akzeptierte.
Und daneben saß die strahlende, leuchtende Sonne: Willemijn. Aus Holland. Groß, blond, wunderschön. Und Lehrerin (Nach Anaella und Anne nun schon die dritte auf meiner Reise, ich machte meinem Ruf als Lehrerinnen-Magnet mal wieder alle Ehre…). Während die anderen beiden bereits Tage vor uns da gewesen waren, war Willemijn nur eine Stunde vor mir angekommen. Diese Frau hatte etwas an sich, das mich von Beginn an in ihren Bann zog. Die Art wie sie sprach, wie sie mich anlächelte, wie sie sich bewegte machte jeden Gedanken an Alleinsein und Askese zunichte.

Der erste Dahrma-Talk mit Schwester Dhammachari lenkte mich zunächst noch erfolgreich ab: das Dahrma ist Buddhas Lehre. Ich würde die vereinfacht so zusammenfassen: „Schlagt Euch nicht die Köpfe ein und übt Euch in Achtsamkeit. Dann überwindet Ihr alles Leid und werdet glücklich. Ach ja, und bitte lügt und betrügt nicht, lasst die Hände von Eurer hübschen Nachbarin und verzichtet auf Drogen und Alkohol.“ Eigentlich ganz vernünftig (bis auf die Sache mit dem Alkohol). Aber weil das natürlich viel zu einfach wäre, gibt es eben das Dahrma, die Lehre von den vier edlen Wahrheiten (Alles Dasein ist leidvoll, Ursache alles Leidens ist Begierde und Anhaftung, nur durch Vernichten von Gier und Hass kann das Leid überwunden werden, der edle achtfache Pfad ist der Schlüssel), die wiederum durch den edlen achtfachen Pfad umgesetzt werden können (das sind 8 erstrebenswerte Eigenschaften ähnlich der 10 Gebote, z.B. nicht töten oder sexuell verfehlen und stattdessen achtsam leben), der sich wiederum in drei Unterbereiche (Panna, Sila, Samadhi) untergliedert. Über all das lässt es sich vortrefflich schwadronieren und es gibt unzählige Gleichnisse und Geschichten zu erzählen. Leider war meine von der Trauer übermannte Nonne (was mich nach ihren 36 Jahren Meditation und Übung im Loslassen von Emotionen und Gefühlen zugegeben ein bisschen irritiert hat) etwas überfordert mit der englischen Sprache und verhaspelte sich gerne in ihren eigenen Thesen, aber immerhin sang sie wunderschöne Chantren (Buddhas Heillieder), die mich sehr berührten.

Die erste Nacht in meinem viel zu kurzem Bett und unter dem Mückennetz verlief erstaunlich harmonisch. Trotz meiner ganzen Mitbewohner (unter anderem ein fetter Baummarder, der irgendwo über mir zwischen Wellblech und der dünnen Holzdecke hauste und nächtens wilde Parties feierte, die mein Klopfen und Klatschen nur kurz zu unterbrechen vermochten). Ein bisschen war ich ja auch über mich selbst erstaunt, mit wie wenig Komfort ich es aushalten konnte. Und gegen das nervige Hundegebell, das aus den umliegenden Dörfern heraufdrang und das mich an die nachtaktiven Hähne auf Bali erinnerte, gab es ja Ohrenstöpsel.
Am nächsten Morgen quälte ich mich dann tatsächlich um 6 Uhr früh aus den Federn und schleppte mich zur Morgenmeditation. Erst eine halbe Stunde Walking Meditation (in winzig kleinen Trippelschritten einmal um den Meditationsraum), dann eine Stunde sitzende Meditation. Klappte einigermaßen gut, bestimmt weil ich noch so müde gewesen war. Ausser mir war nur Willemijn anwesend. Wahrscheinlich meditierten die Nonnen und die anderen Schüler in ihren Betten.
Zum Frühstück um halb acht gab es Reis und Curry.
Wie übrigens auch Mittags.
Und die darauffolgenden zehn Tage.
Und weil der brave Buddhist nach zwölf Uhr Mittag nichts mehr essen darf, habe ich mir vorsorglich (und auf Annes Rat hin) Kekse mitgebracht. Obwohl ich gegen Reis und Curry am Abend auch nichts einzuwenden gehabt hätte, denn an dem Zeug würde ich mich wohl nie satt essen. Wer sich unter dem Nationalgericht Sri Lankas übrigens nichts vorstellen kann: das ist Reis mit verschiedenen Beilagen. Je nachdem was der Koch grade da hat. Nicht zwingend vegetarisch (ausser natürlich im Kloster), meist jedoch mit einem Kokos-Zwiebel-Gemisch, diversen Paprikas, Rote Beete, Kotzfrucht, Kartoffeln oder verschiedenen Erbsen. Das alles mit mal mehr, mal weniger scharfem Curry zubereitet.

Dank Willemijn verwarf ich die Idee, den Aufenthalt im Kloster schweigend zu verbringen, quasi von Beginn an. Und Willemijn tat es mir gleich. Wann immer es uns möglich war, verbrachten wir die Zeit ausserhalb der Meditationen gemeinsam. Gleich am ersten Tag wagten wir uns mit unserem weißen Klosterdress und mit Flip Flops an den Füßen an den in den hitzebedingt schweißtreibenden, zwanzigminütigen Aufstieg zur Spitze des Klosterberges, wo wir uns auf den aufgeheizten Steinen sonnten, meditierten und bis zum Sonnenuntergang philosophierten. Hier schaffte ich es sogar erstmalig, in einer Meditation mein zweites Chakra, das Sexualchakra zu aktivieren (das wollte mir zu Hause nie gelingen. Die restlichen sechs waren im Vergleich dazu ein Klacks).
Der Aufstieg zum Gipfel sollte zu einem täglichen Ritual während Willemijns fünftägigem Aufenthalt werden. Zweimal stand ich bereits um fünf Uhr morgens auf, um mit ihr dort oben dem Sonnenaufgang entgegen zu meditieren. Natürlich erforderte es die morgendliche Kälte, dass wir das eng aneinander gekuschelt taten. Diese, wie Willemijn es nannte, Sparkling Moments, bedurften aber keiner darüber hinaus gehenden Zärtlichkeit. Und obwohl die körperliche Anziehung enorm war und die Luft zwischen uns laut knisterte, respektierten wir beide den Ort an dem wir uns befanden. Manchmal braucht es aber auch gar keinen Sex, damit zwei Menschen wirklich zueinander finden (und das trotz heftig rotierendem Sexualchakra!).

Was Willemijn und ich in Rockhill erlebt hatten, ging weit über bloße Körperlichkeit hinaus.

Einen weiteren dieser Sparkling Moments hatten wir bei einer gemeinsamen Wanderung durch das wunderschöne Umland des Rockhill. Ein kleines Dorf schmiegte sich zu dessen Füßen in den Dschungel. Und weil hier alles so weit vom Schuss entfernt war und die Einheimischen vom Tourismus noch nicht versaut gewesen waren, erfuhren wir hier eine Herzlichkeit, wie sie mir auf dieser Reise noch nie zuvor begegnet war. Alles entlud sie schließlich in einem kleinen Tempel, in dem sich auch eine Dahrma-Schule befand, wo wir vor einem plötzlichen Regenschauer Zuflucht suchen mussten und mitten in einen Tanzunterricht platzten. Nachdem wir mit großem Hallo und Gekicher empfangen worden waren, schauten wir uns zunächst die wie aus einem Bollywoodfilm entlehnten Choreographien der Kinder an, bis es uns selbst nicht mehr auf den Stühlen hielt. Als erster gab ich den Drängen der Kids nach und hampelte zum großen Vergnügen der johlenden Bande auf der Bühne herum, bis mir schließlich Willemijn Gesellschaft leistete. Sie drückte einem der Jungs ihr Handy in die Hand und bat ihn, es an die scheppernde Lautsprecheranlage anzuschließen. Dann tanzten wir auf einer Schulbühne, mitten im Dschungel, am Ende der Welt, den Kindern Salsa vor. Noch Tage danach und als Willemijn schon längst abgereist war riefen mir die Kids schon von weiten „Andi! Dans! Dans!“ und „Andi, wär is Wilma?“ zu, wenn ich nachmittags am Tempel vorbei spazierte.

Nach und nach realisierte ich, dass der eigentliche Grund, warum es mich an diesen Ort gezogen hatte, nicht die Nonnen oder die buddhistische Lehre gewesen war, sondern Willemijn. Feinfühlig, hellsichtig und absolut in sich ruhend. Und mit der bemerkenswerten Fähigkeit ausgestattet, gezielt meine Knöpfe zu drücken und ihre Finger in meine Wunden zu legen, ohne dass ich ihr dafür böse sein konnte. Nachdem ich ihr mein Herz ausgeschüttet hatte wie noch nie jemanden zuvor und alles erzählt hatte, was ich bereits ausprobiert, erkannt, wo ich gefehlt, versagt oder was ich erreicht hatte, im Leben wie in der Spiritualität, stellte sie mir an ihrem letzten Abend, nachdem uns die Nonnen aus dem Gemeinschaftsraum geworfen und wir uns in der Meditationshalle wie kleine Kinder versteckt hatten, flüsternd die entscheidende Frage:

„Andi, why aren’t you happy?“

Und zum ersten Mal hatte ich keine Antwort parat.
Denn eigentlich wusste ich, wie Glücklichsein funktionierte.
So theoretisch. Und seit kurzem tat ich auch alles, was dafür erforderlich war:
Den ungeliebten Job aufgegeben.
Reisen.
Das Leben genießen.
Mein Geld mit etwas verdienen, was mir am Herzen liegt.
Ich hatte wunderbare Freunde, eine liebe Familie.
Also warum war ich nicht glücklich?
Und die Antwort war so einfach wie sie mich unerwartet traf.
Dort in diesem Meditationsraum im Rockhill auf Sri Lanka, mit Willemijn, der schönen Holländerin, meinem Guru, an meiner Seite:
Ich BIN bereits glücklich!
Ich hatte es nur noch nicht erkannt und angenommen Bis jetzt (Okay, der Buddha würde widersprechen, aber an manchen Punkten gehen unsere Meinungen eben auseinander). Und ich habe zugelassen, dass das, was Willemijn „Old Pain“ nannte (ein Schmerz, der bereits in der Kindheit oder noch davor entstanden ist und sich unangenehm durch Beziehungen und bestimmte Situationen des Erwachsenenlebens zieht), mir immer dann, wenn er hochkam, das Gefühl des Glücks nahm.
DAS war also meine Baustelle, meine Mission.
Nicht die Suche nach dem Glück. Sondern das Heilen von altem Schmerz. Manchmal ist es ganz leicht. So leicht, dass man einen Schubs von aussen braucht. Und in meinem Fall genügte die simple Entscheidung zum Glücklichsein. Der alte Schmerz konnte noch ein bisschen warten, ich war mir sicher, dass das geeignete Heilmittel hierfür auf meiner Reise noch finden würde. Wichtig war jetzt nur das unbeschreibliche Gefühl des Glücks, das mich durchströmt hatte.

Das wahre Ausmaß dieser Erkenntnis stellte sich erst am nächsten Tag ein, als Willemijn das Rockhill und mich verließ, weil sie nach Hause fliegen musste. Zum Abschied schenkte sie mir einen handgeschrieben, zweiseitigen Brief, der den Knoten in mir mit solcher Wucht explodieren ließ, dass ich den ganzen Abend heulte wie ein kleines Kind. Ich weinte, bis Rotz und Wasser mein Medititationskissen aufgeweicht und ich eine ganze Rolle Klopapier verschneuzt hatte. Alles musste raus, alles konnte endlich gehen und zurück blieb nur ein tiefer Friede. In dieser Nacht bellten die Hunde zum ersten Mal nicht mehr. Das Biest, das mich bis hierher verfolgt hatte, hatte sich verzogen und es gab nichts mehr anzuknurren.

Als Willemijn fort war, hinterließ sie ein Loch im Rockhill, das ich fortan mit Schreiben schloss. Denn plötzlich war die Lust daran mit ungeahnter Wucht zurückgekehrt. Ich riss täglich 10 Seiten und mehr herunter und hatte einen Heidenspaß dabei. Ich meldete mich von den Dahrma-Talks ab und verbrachte viel Zeit mit Meditation. Zunächst hatte ich mich damit beschäftigt meine 7 Haupt-Chakren zu aktivieren und zu reinigen. Hierbei handelt es sich um sieben Energiepunkte im Körper, durch die, einmal aktiviert, das Chi, die universelle Kraft, ungehindert fließen kann. Nun ist diese Meditation aber vergleichsweise leicht, weil der Verstand dort eine klare Aufgabe hat. Vipassana war da schon eine ganze Ecke anspruchsvoller. Im Gemeinschaftsraum entdeckte ich ein dünnes Büchlein mit dem Titel „Mindfulness in plain english“ von einem gewissen H. Gunaratana Mahathera, venerable natürlich, das mich ungemein faszinierte. Nie zuvor hatte ich eine derart verständliche und erhellende Lektüre über Achtsamkeit und Meditation im Allgemeinen und das buddhistische Vipassana im Speziellen gelesen. Ich verschlang die Lektüre regelrecht und setzte die Anleitung gewissenhaft in meinen Meditationen um. Ich war bisher immer davon ausgegangen, dass das Ziel der Meditation wäre, frei von jedem störenden Gedanken rein im Augenblick zu verweilen. Wenn ein störender Gedanke oder eine Emotion aus der Tiefe des Unterbewusstseins auftauchten, versuchte ich, dies zu registrieren und sofort wieder loslassen. Vipassanas Ziel ist allerdings nicht die Leere der Gedanken, sondern die Achtsamkeit. Schauen, was ist. Und wenn ein Gedanke in die Meditation prescht, geht die volle Aufmerksam- und damit Achtsamkeit auf diesen Gedanken über und er wird beobachtet. Das Spannende: allein durch das Richten der Aufmerksamkeit verschwinden die unbedeutenden Gedanken (oder auch schmerzende Glieder) quasi sofort wieder. Übrig bleiben nur die Dinge, die einen wirklich beschäftigen. Und der Old Pain. Und auch den kann man sich dann einfach von aussen ansehen, analysieren, betrachten, annehmen, heilen und loslassen. Mit voller Achtsamkeit. 

„The purpose of meditation is not to concentrate on the breath, without interruption, forever. That by itself would be a useless goal.
The purpose of meditation is not to achieve a perfectly still and sense mind. Although a lovely state, it doesn’t lead to liberation by itself.
The purpose of meditation is to achieve uninterrupted mindfulness.
Mindfulness, and only mindfulness, produces Enlightenment.“
Mindfulness – Venerable H. Gunaratana Mahathera

 

Was nicht bedeutete, dass mir die Mediation leicht fiel, im Gegenteil. Es erfordert eine unglaubliche Willensstärke um bei der Sache zu bleiben und die Gedanken schossen in der Regel wie ein ausser Kontrolle geratenes Feuerwerk in meinen Geist:

Einatmen, Pause, ausatmen. Pause, Einatmen, Pause,…
Yeah, schon zwei Atemzüge ohne Denk.. Fuck, Konzentration!
Einatmen, Pause, Aus… ah, die Sonne beginnt zu scheinen, ich sollte dringend noch das eine T-Shirt waschen dass ich morgen, Maaaaaannn! Jetzt aber! Aufmerksamkeit drauf und weiter gehts. Also.
Einatmen, Pause, ausatmen. Pause, Einatmen, Pause,
Mist, was krabbelt mir denn da schon wieder über den Fuß? Jetzt hab ich zwar meine Achtsamkeit dort und es ist weg, aber wer weiß, wo hin? In meine Hose rein?
Einatmen, Pause, ausatmen, Pause.
Wenn ich wieder zu Hause bin koche ich auch mal ein Curry, so schwer kann das…, VERDAMMT!!!
Einatmen, Pause, ausatmen, Pause. Einatmen, Pause, Ausatmen, Pause. Einatmen, Pause, Ausatmen, Pause.
Jetzt aber! Ich bin der Obermeditator, drei Atemzüge ohne Denken, die Erleuchtung ist nah!“

Mit zunehmender Übung konnte ich auch immer länger im Meditationssitz verharren. Wo mir anfangs schon nach 20 Minuten beide Beine eingeschlafen waren und ich mich nur noch kriechend fortbewegen konnte, hielt ich es am Ende der 10 Tage eine Stunde und mehr aus. Und das regnerische Wetter sorgte dafür, dass ich nicht allzu sehr abgelenkt wurde. Obwohl es niemals richtig kalt wurde und die Sonne sich regelmäßig zeigte, regnete es es den ganzen Tag über immer wieder völlig willkürlich und für mich überhaupt nicht vorhersehbare, kurze, heftige Schauer. Der Dschungel explodierte dann jedes Mal und förderte allerlei seltsames Viechzeugs zu Tage (oder um es mit Willhelmas Worten zu sagen: „The rain brings out all this funny creatures“), am kuriosesten waren die fast unterarmlangen, schwarzglänzenden Tausendfüßler und die walnussgroßen Asseln. Wenn aber die Sonne schien, so richtig Anlauf nahm und die großen, schwarzen Felsen aufheizte, und ich ganz oben auf dem Gipfel saß und die Wärme genoss, wollte ich manchmal gar nicht die Augen schließen um zu meditieren, zu schön, zu satt, zu lebendig, zu saftig, zu farbenfroh präsentierte sich mir der umliegende Dschungel auf den sanft geschwungenen Bergen. Auf fünfzehn Quadratmetern wuchsen hier sicherlich zehn und mehr verschiedene Sträucher und Bäume, überall zirpte, summte und zwitscherte es, dazwischen mischte sich der Gesang und das Geschrei und die Trommeln der umliegenden buddhistischen Klöster und muslimischen Moscheen, jede mit einer eigenen knarzigen Lautsprecheranlage ausgestattet und im steten Wettbewerb um die Gunst der Gläubigen dem Nirvana entgegen betend und säuselnd.
Die Tage verflogen mit einer Geschwindigkeit, wie ich es niemals für möglich gehalten hätte. Während daheim das Herbstfest begann, hockte ich auf einem Felsen oder im Meditationsraum und übte mich in Achtsamkeit und Love&Kindness. Und schrieb, wie nie zuvor in meinem Leben. Als hätte ich hier im Rockhill zwischen und auf diesen energiegeladenen Felsen einen immeroffenen Kanal zur eigenen Intuition entdeckt.
Und ehe ich mich versah, war es dann auch schon Zeit für meine Abreise. Aber ich war nicht traurig. Ich war mir ziemlich sicher, dass ich gelernt hatte, was es im Rockhill für mich zu lernen gab. Und um ehrlich zu sein, sehnte ich mich auch nach ein bisschen mehr Komfort. Der Sonne, dem Meer, einer Gitarre, einem Surfboard. Einem kalten Bierchen am Abend, Gespräche, bei denen man nicht flüstern musste und bei denen die Antwort auf jede Frage nicht einfach nur „practis moar meditaischn!“ lautete.

Ich freute mich auf die Philippinen. Auf neue Abenteuer, neue Leute, gute Wellen, Parties und darauf, mein Buch fertig zu schreiben. Mit sieben heftig rotierenden Chakren im Gepäck. Und einer Teilerleuchtung.

Die ganze Erleuchtung konnte noch ein bisschen warten.

2 Kommentare

  1. Leon Kainz

    Freue mich sehr das es dir gefällt.
    Ich hab mir alles durchgelesen.
    Sehr sehr beeindruckend!

    Ich wünsche dir viel Freude weiterhin andi lass es dir gut gehen!

    Liebe grüße aus dem „kaltem“ Deutschland

  2. Thomas

    Hi Andi, ich war auch gerade 6 Tage im Rockhill Sri Lanka, und hab bei der Gelegenheit Deinen Beitrag hier gefunden. Sehr witzig geschrieben und trifft es in der Tat sehr genau. May you be well and happy ;)! Beste Grüße, Thomas

Schreib was dazu!

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