“Traveling – it leaves you speechless, then turns you into a storyteller.”
(Ibn Battuta)
Was ist Reisen? Wann gilt ein Land als bereist, so dass man weiterziehen kann weil man alles gesehen hat? Ich hatte mir über diese Frage ziemlich lang den Kopf zerbrochen. Auf all meinen bisherigen Reisen hatte ich nur begrenzte Zeit, meist maximal drei Wochen, gehabt.
Also so lange, wie ich bis jetzt hier auf Sri Lanka gewesen war.
Ich hatte kaum etwas von den typischen Touristenzielen der Insel gesehen. Ich war nicht in Colombo, bin nicht auf den Adams Peak geklettert und hatte mir die ganzen Sehenswürdigkeiten im berühmten Kandy nicht angesehen. Nein, auch nicht den Zahntempel. Weil mich Buddhas Zahn, der da angeblich drin liegt, etwa so viel interessierte wie das Paarungsverhalten der singhalesischen Fruchtfliege. Ich wollte mir keine Geschichte anschauen, ich wollte sie wenn dann erleben. Aber trotzdem war da immer wieder dieser nagende Gedanke im Hinterkopf, dass man, wenn man doch schon mal hier ist, doch eigentlich noch diese eine Ruine, von der alle reden, ansehen könnte oder vielleicht eine Safari zu machen um Elefanten und anderes Gekreuche in freier Wildbahn zu beobachten.
Doch in mir siegte immer öfters das Bauchgefühl und ich spürte instinktiv, wenn ich auf der richtigen Route war. Es waren die Kleinigkeiten. Die lächelnden Kinder am Straßenrand. Die spontane Einladung zum Essen von einem Fischer, der mich am Strand aufgegabelt und mit nach Hause zu seiner Familie genommen hat, als ich auf einem Stein saß und gedankenverloren aufs Meer stierte.
Oder Anne.
Anne habe ich in Ella getroffen. Nein, eigentlich schon in Deutschland beim Check-In in Frankfurt. Wir hatten ein paar Worte gewechselt, während wir auf Einlass in den Flieger gewartet hatten. Uns spontan sympathisch gefunden und doch wieder aus den Augen verloren. Erst als ich gemeinsam mit Antony, dem Vorzeigeitaliener aus dem Surfcamp, mit dem Bus nach einem fünfstündigem Höllenritt in Ella angekommen war, habe ich Anne wiedergefunden. Und wie sollte es anders sein, natürlich über Tinder.
Ella war zunächst als Zwischenstopp zum Perahera-Festival in Kandy gedacht. Einfach, um die Mörderstrecke nicht an einem Stück absolvieren zu müssen. Allein für 150 Kilometer brauchte das als Bus getarnte Mordinstrument satte fünf Stunden. Und das trotz der unbedingten Rennfahrertauglichkeit des Fahrers mit feinstem Gespür für Schlaglöcher und Vollbremsungen. Mich wundert immer noch, dass er „nur“ einen Passanten auf der ganzen Strecke über den Haufen gefahren hat.
Aus irgendeinem Grund zieht Ella scharenweise Touristen an. Klar, das im Hochland gelegene Örtchen liegt schön und bietet neben einem formidablen Wasserfall auch nette Trekkingtouren durch Teeplantagen oder auf den Little Adams Peak. Ausserdem ist das Klima wesentlich angenehmer als an der Küste.
Trotzdem behaupte ich, dass hier die Reiseführer kräftig übertreiben wenn sie Ella als Highlight bezeichnen.
Antony und ich hatten zwei Nächte Aufenthalt geplant, also einen vollen Tag um Ella zu erkunden. Natürlich mit dem Moped und nach seinen anfänglichem Bedenken konnte ich schließlich auch Antony überzeugen, sich einen Roller zu mieten.
Das war dann auch ungefähr die Zeit, zu der ich Anne über Tinder wiedergefunden hatte und sie erklärte sich spontan bereit, eine Nacht länger in Ella zu bleiben wenn ich sie auf unsere Tour mitnehmen würde. Also gabelte ich sie irgendwo im Hinterland, wo sie backpackerkonform untergebracht war, auf und gemeinsam verlebten wir einen wunderschönen Tag.
Tatsächlich war Anne mir von Beginn an so nahe, als hätte ich sie schon ewig und nicht erst ein paar Stunden gekannt. Hier hatten sich definitiv zwei Seelen gesucht und gefunden. Und je mehr sich der Tag dem Ende neigte, desto mehr kam ich ins grübeln. Wollte ich wirklich am nächsten Tag aufs Perahera nach Kandy, einem sicherlich spannenden, aber vor Touristen und Einheimischen berstenden Ort, laut, krawallig, schwitzig? Nicht nur Anne, die zuvor schon auf dem Perahera gewesen war, sondern auch einige andere Backpacker berichteten über chaotische Zustände, überfüllte Züge und teure Herbergen. Ausserdem hatte Antony angekündigt, dass er nur eine Nacht in Kandy bleiben und am 18. August, also meinem Geburstag, abreisen wolle. Ich hätte also allein das Finale des Perahera feiern müssen. Nicht dass mich das gestört hätte. Aber da saß andererseits auch diese wunderbare Frau hinter mir auf dem Mofa, ihre Arme eng um mich geschlungen und den Kopf auf meinen Rücken gelehnt. Ich könnte auch einfach meine Pläne über den Haufen werfen und mit ihr nach Arugam Bay weiterziehen. Keine Destination, die ich unbedingt auf der Liste hatte. Aber ich könnte mehr Zeit mit Anne verbringen. Und während ich im Rawana-Wasserfall badete, traf ich eine Entscheidung, die sicherlich meine restliche Reise beeinflussen wird: ich reise für die Begegnungen und nicht für die Sehenswürdigkeiten.
Also eröffnete ich Antony, dass er alleine weiterfahren würde müssen. Und mehr noch, da er frühmorgens den Zug nach Kandy erwischen musste, wäre es für ihn einfacher, in Annes Hostel, das sie zuvor noch und natürlich zufällig neben dem Bahnhof gebucht hatte, umzuziehen. Und Anne zu mir in unser eh viel zu schmales Doppelbett in meinem Homestay in den Hügeln kommen würde. Und weil Antony auch keine Lust auf eine weitere Nacht auf der Bettkante neben mir hatte, stimmte er zu.
Annes und meine Reisegruppe vergrößerte sich sogar noch, unter anderem um den faszinierenden Australier Sam, der mit achtzehn Jahren alleine Asien bereiste und gerade aus einem zehntägigem Klosteraufenthalt aus Kandy zurückgekommen war. In diesem Burschen musste wahrlich eine uralte Seele wohnen. Außerdem schlossen sich uns Milja aus Finnland und Christina aus Deutschland an und gemeinsam teilten wir uns den Minivan nach Arugam Bay.
Trotz des Umstandes, dass mir Arugam Bay wegen der Affenhitze (zwischen 37 und 42 Grad am Tag!) und seiner muslimisch geprägten Bevölkerung nicht wirklich gefallen hatte (hier machten sie zum Beispiel gar noch ein größeres Geschiss um den Konsum von Alkohol als auf dem Rest der Insel), hatte ich den Aufenthalt dank Anne und meinen drei anderen Begleitern sehr genossen. Mein Geburtstag bestand dann aus einer Fullmoonparty (MIT Alkohol, weil die Betreiber der Bar die Polizei bestochen haben), auf der wir in ihn hinein, und aus einer famosen Strandparty, aus der wir aus ihm hinaus gefeiert haben. Tagsüber waren wir surfen und ich kann mich nun immerhin damit rühmen, in Arugam Bay, immerhin angeblich eine der zehn weltbesten Surfspots, ein paar Wellen erwischt zu haben. Und Elefanten in freier Wildbahn gesehen zu haben. Die liefen hier nämlich quasi gleich hinter der Dorfgrenze durch die steppenartige Pampa.
Als es Zeit wurde und sich unsere Wege wieder trennten, gab mir Anne noch den entscheidenden Tipp mit auf den Weg: sie hatte ebenfalls einen fünftägigen Aufenthalt in einem buddhistischem Kloster hinter sich und legte mir diese Erfahrung wärmstens ans Herz. Und ich hatte noch genau 10 Tage Zeit, die empfohlene Aufenthaltsdauer für so ein Kloster, bis mein Sri Lanka-Visum auslaufen würde und ich weiter auf die Philippinen ziehen wollte. 10 Tage meditieren, nur Reis und Curry essen und auf jeden Kontakt zur Aussenwelt verzichten. Mein Verstand rebellierte, mein Herz jubelte. Die Richtung schien also zu stimmen.
Vielleicht könnte ich ja Buddha ein wenig auf den Zahn zu fühlen…
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