Auf der Suche nach Leichtigkeit

07. 08. 2016 | Reisen | 0 Kommentare

“Je planmäßiger die Menschen vorgehen, desto wirksamer trifft sie der Zufall.”

(Julia am Strand von Medilla)

 

Tangalle. Wieder ein Tipp aus dem Reiseführer. Insgeheim hatte ich gehofft, unterwegs, mehr Empfehlungen von Leuten vor Ort, vorzugsweise von anderen Backpackern, zu bekommen. Doch für viele Einheimische endete der Wirkungskreis an der eigenen Dorfgrenze (das ist auf Sri Lanka nicht anders als daheim in Bayern) und hier trieben sich überraschend wenig Rucksacktouristen herum. Zumindest im Süden. Tangalle befindet sich von Mirissa aus eine 15 Euro teure und einstündige Tuk-Tuk-Fahrt entfernt. Ich hätte auch den Bus nehmen können. Eines jener Ungetüme, die an Haltestelle selten stehen blieben, sondern einfach langsam dran vorbei fahren ehe der Gasfuß wieder zu schwer wird. Aber ich hatte das Fahrplansystem noch nicht kapiert und wollte mir das mit meinem fetten Rucksack noch nicht antun.
Ich Pussy.
Das Geldsparen auf Reisen musste ich noch perfektionieren. Aber ich machte immerhin Fortschritte bei der Wahl meiner Unterkunft. Die hatte ich mir dieses Mal nämlich erstmals ohne booking.com, Agoda und Co. gesucht. Indem ich einfach von Homestay zu Homestay gelatscht bin.
Die Wahl fiel schließlich auf eine kleine Ansammlung Cabanas in einem schönen Garten. Mit zwei freilaufenden Ponys (die mich Nachts einmal fast zu Tode erschreckt hätten). In zweiter Reihe zur Goyamkokka Beach und betrieben von ein paar quirligen Jungs. Der Poolbaustelle, die mich nicht im geringsten störte (weil mich die Baustelle an Zuhause erinnerte), sei dank konnte ich den Preis für meine mehr als formidable Hütte mit fettem Doppelbett, Indoor-Glühwürmchen (!), urgemütlicher Teakholz-Terasse und eigenem Bad auf einen passablen, wenn auch noch immer nicht ganz backpackerbudget-konformen Preis herunterhandeln (17 Euro / Nacht).
Ruhe und Abgeschiedenheit und Meeresrauschen gab’s gratis dazu.
Ich fühlte mich wie Livingstone in seiner Urwald-Lodge. Hier sollte es doch auch meiner Muse gefallen. Den Jungs erzählte ich, dass ich hier zum arbeiten wäre und als sie mich den ersten Tag fast ausschließlich auf der Terrasse sitzen und im Schatten der Palmen schreiben sahen, glaubten sie mir auch. Genauso wie der lustige Mr. Sri mit seinen zwei Daumen an einer Hand, der am Strand Touren ins Umland vermittelte und gar nicht wahrhaben wollte, dass ich aus Deutschland komme.
Weil die Deutschen doch sonst nie lächeln würden.

Viel konnte man auch nicht machen am Goyamkokka. Die drei Strandabschnitte der waren tipptopp sauber und schöner noch als die in Mirissa, allerdings mit viel extremeren Wellen und Strömung, Baden war lebensgefährlich. Trotzdem haben sich ein paar exklusivere Hotels angesiedelt. Das eigentlich spannende hier war, dass es so etwas wie Privatstrände offenbar nicht gab. Jeder Besucher des Strandes durfte die Liegen und Hängematten der Ressorts nutzen, zumindest wurde ich nicht ein einziges Mal verscheucht oder auch nur schräg angeguckt. Lag vielleicht auch an der Nebensaison.
Zudem gab’s eine Reihe kleiner, und nur auf den zweiten Blick als solche erkennbare Strandbars, die ebenfalls Liegen anboten. Bei einer von denen hatte ich mir ungewollt gleich am zweiten Tag eine wahrscheinlich lebenslange Privatliege verdient, weil ich den Jungs einen Nachmittag lang spontan geholfen habe, Tsunami-Müll aus dem Sand auszugraben. Dass ich ihnen von meiner Strandliege aus nur einfach nicht hatte länger zusehen können (fünf Asiaten stehen um ein Problem herum und warten bis es sich selbst löst, Bali lässt grüßen) und die deutsche Effizienz mit mir durchgegangen ist, musste ich ihnen ja nicht auf die Nase binden.

Alles in allem, und deshalb war die Wahl dieses Ortes auch nicht die schlechteste, wollte ich nur meine Ruhe. Und auch nicht unbedingt zum Schreiben. Sondern um endlich einmal nach innen zu hören. Meine spirituelle Reise hat mich hierher in dieses Abenteuer geführt. Vieles von dem was ich bisher gelernt habe, konnte ich bereits erstaunlich gut umsetzen. Dass ich Ruhe und Gelassenheit ausstrahlte, spürte ich nicht nur selbst. Ich urteilte weniger bis gar nicht mehr und konnte auch immer öfters den Ärger über ungewollte Situationen loslassen (der Frankfurter Flughafen war eine weitere, lehrreiche Schulstunde). 

Aber ich war mir immer noch nicht im klaren, wo und wie ich den Knoten in Hals und Brust, den ich hier immerhin deutlich wie nie zuvor fühlte, lösen konnte. Alles, was mir in meinen oberflächlichen Mediationen, in denen die Gedanken meist wie ein ausgehungerter Heuschreckenschwarm über mich herfielen, gelungen war, war den Knoten zu berühren und jede Berührung löste den Drang aus, einfach loszuheulen und alles herauszulassen. Doch ich kriegte die Schleuse einfach noch nicht auf. Kleinigkeiten warfen mich aus der Bahn. Manchmal erinnerte mich etwas, das ich sah oder roch, an eine vergangene Reise mit Vera und mein Herz wurde traurig. Der Anblick von Padmé berührte mich. Padmé war der kleine Schlüsselanhänger in Hamsterform und jüngstes Ergebnis des Rituals, das meine Schwester mit mir vor jeder Reise betrieb, wenn sie mir einen kleinen Begleiter zum Abschied überreichte. Padmé erinnerte mich allerdings sehr an meine Leia, die kurz vor meiner Abreise gestorben war und die mir unglaublich fehlte. Kurzum, mein Innerstes kehrte sich gerade ganz gewaltig nach außen und da war es vielleicht ganz gut, wenn ich abgeschieden und alleine war.

Nach ein paar Tagen in Tangalle beschloss ich, dass es nicht schaden konnte, sich etwas Hilfe zu holen. Immerhin befand ich mich in einem Land, dass zu über 70% aus Buddhisten bestand und deren Religion faszinierte mich schon lange. Das Angebot des ressorteigenen Tuk-Tuk-Fahrers lehnte ich dankend ab und mietete mir wieder einen Motorroller. Im Umland von Tangalle gab es zwei mehr oder weniger berühmte Tempel. Einer davon war der Buduraya, bekannt für seine über 50 Meter große Buddha-Statue, angeblich die größte ganz Sri Lankas. Dort angekommen erschlug mich zunächst der Strom an Menschen. Allerdings keine Touristen, sondern betende Einheimische. Die zahlten auch keinen Eintritt für die Anlage, das mussten nur Ausländer. Von den Blumenhändlerinnen, die mich sofort umringt hatten, kaufte ich ein paar an Seerosen erinnernde Blüten als Opfergabe und legte sie einem der zahlreichen Buddha-Statuen zu Füßen. So richtiger Friede wollte sich allerdings nicht einstellen, was entweder an der Affenhitze oder, wahrscheinlicher, dem „Höllen“-Tempel geschuldet war. Ich erfuhr erst hinterher, dass dieser Bereich des Buduraya mindestens so berühmt wie der Riesenbuddha selbst war. In einem ca. 50 Meter langen Gang, der in die Erde getrieben ist, stellte eine endlose Bildergalerie (und am Ein- und Ausgang sogar als detaillierte Statuen) ziemlich explizit die Strafen dar, die einen in der Hölle für irdisches Vergehen erwarteten. Wer beispielsweise einen Mönch hinter seinem Rücken verhöhnt, wird von zwei Dämonen, die einen kopfüber an den Beinen halten, in der Mitte durchgesägt. Anfangs noch fasziniert, mochte ich am Ende gar nicht mehr so genau hinsehen.

Jeder Folterporno ist ein Kindergarten dagegen.

Buduraya war also raus. Kein spiritueller Friede hier für den Andi.

Weil’s unterwegs auf der Strecke lag, nahm ich auch noch gleich das Blow Hole mit, ein zur Touri-Attraktion verwursteltes Naturschauspiel, bei dem das Meerwasser durch einen 25 Meter langen Tunnel einer Küstenfelsformation getrieben wird und sich vor den jauchzenden Zuschauern in einer mal mehr, mal weniger hohen Fontäne ergießt. Hätte ich jetzt nicht unbedingt gebraucht, aber hinterher ist man immer schlauer.

Der zweite Tempel des Tages hatte mir da schon eher zugesagt: der Mukirigala Rock Temple im Norden Tangalles ist in und auf einen schwarzen Fels erbaut und der Aufstieg führt schweißtreibend über unzählige, teils abenteuerlich in den Stein gehauene Stufen auf den Gipfel. Dort wartete nicht nur eine wunderbare Aussicht auf den umgebenden Urwald, sondern auch ein alter Mönch, der mir Öl auf den Kopf träufelte und einen schönen Singsang anstimmte. Ich weiß im Nachhinein nicht, ob es die Erschöpfung des Aufstiegs mit der verbundenen Erleichterung, endlich oben angekommen zu sein, gewesen war, die Einsamkeit (ich hatte Glück und mit mir waren keine anderen Besucher dort) oder tatsächlich das Ritual. Jedenfalls fühlte ich hier das erste Mal einen tiefen Frieden in mir und als der alte Mann dem Buddha meine Opfergaben zu Füßen legte und mir dann ein Gebetsarmband ans Handgelenk knüpfte, lockerte sich der Knoten in mir tatsächlich ein wenig und erste Tränchen konnten kullern. Was den Mönch übrigens nicht im Geringsten zu verwundern schien. Ich setzte mich dann noch bestimmt eine Stunde lang auf den Aussichtsfelsen ins diesige Sonnenlicht, genoss die Aussicht und versuchte zu meditieren. Allerdings immer noch erfolglos. Hunderte Gedanken schossen mir auch hier oben durchs Gehirn. So schnell konnte ich sie gar nicht alle loslassen, wie neue auf mich einstürmten. Es schien, als hätte sich mein eigener Verstand gegen mich verschworen und wolle mich mit aller Macht davon abhalten, in mich hineinzuhorchen.

Aber gut. Bevor etwas heilen kann, bläht es sich manchmal ein letztes Mal auf und wird stärker statt schwächer. Oder wie schon der friedvolle Krieger wusste: am dunkelsten ist die Nacht vor dem Sonnenaufgang.

Das tröstete mich ein wenig und beschloss dass das nun genug Spiritualität für einen Tag gewesen war. Ich kletterte wieder hinab zu meinem Mofa und gurkte zurück gen Tangalle. Dort war ich mit Julia und Maria verabredet, kennengerlernt über Tinder. Wer jetzt lacht ist raus, ich fand Tinder nämlich schon damals in Vietnam sehr praktisch, um sich mit anderen Reisenden zu vernetzen und auszutauschen. Die beiden Mädels hatte es an einen komplett anderen Strand im Osten Tangalles verschlagen, Medilla Beach, die im Gegensatz zum Goyamkokka viel zahmer daherkam und sich wohl eher zum Baden eignete. Julia und Maria waren bereits seit ein paar Wochen auf Sri Lanka und nahmen an einem Volunteer-Projekt teil, innerhalb dessen sie sich unter anderen um behinderte Schildkröten kümmern durften und nutzten die freien Wochenenden, um sich das Land anzusehen. Das gab natürlich die ein oder andere lustige Anekdote her und so lagen wir bis tief in die Nacht am Strand im Sand, tranken Bier und zählten Sternschnuppen. Ein Teil von mir hätte sich den beiden Mädels gerne angeschlossen und ich wäre am liebsten mit Julia nach Kandy zurückgefahren, aber die Entscheidung wurde mir abgenommen, indem der erste Geldautomat, bei dem ich mich Samstag Mittag mit neuen Rupien versorgen wollte, meine EC-Karte einkassierte und das mit einem Windows-Runtime-Error quittierte. Dem ratlosen Sicherheitsmann der Bank nebst zahlreichen herbeigerufenen Einheimischen, die allesamt wild auf den Tasten des Geräts und auch auf dem Bildschirm herumdrückten (der, wie ich ihnen mehrmals erklären wollte, KEIN Touchscreen war), brachte lediglich die Erkenntnis, dass ich mich Montag früh in der Bank einfinden sollte um meine Karte zurückzufordern. Julia musste aber bereits am Sonntag abend zurück in Kandy sein.

Ich akzeptierte auch diese Lektion in Gelassenheit, beschloss an der Stelle jedoch, dass das so nicht weitergehen konnte.

Es wurde Zeit, surfen zu lernen.

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