Ich sitze auf der kleinen Terrasse meiner AirBnB-Unterkunft mitten in Ubud und höre dem Regen zu, wie er auf das Plastikdach über der Veranda prasselt.
Die Regenzeit hält unaufhaltsam Einzug auf der Insel der Götter.
Passt zu meiner augenblicklichen Stimmung.
Trotzdem habe ich gerade mein Visum um einen weiteren Monat verlängert. Meinem ursprünglicher Plan, den November in Thailand zu verbringen, hat König Bumibol einen Strich durch die Rechnung gemacht. Nach dessen Ableben versinkt das Land in Trauer und Chaos und darauf habe ich grade überhaupt keine Lust. Ausserdem verspüre ich eine gewissen Reisemüdigkeit.
Und das erste Mal seit drei Monaten habe ich Heimweh, denn seit heute bin ich wieder allein.
Die letzten drei Wochen hat mich Christoph begleitet, wir haben uns auf Lombok getroffen und sind dann nach Bali weitergereist. Nach zwei Monaten Alleinreisens war seine vertraute Gesellschaft und Freundschaft eine willkommene Abwechslung. Und ich war wirklich froh, nicht alleine „zurück“ nach Bali zu müssen. Zu viele Erinnerungen an eine verlorene Liebe waren mit diesem Ort verbunden. Und trotzdem musste ich herausfinden, ob meine Faszination für die Insel verklärter Nostalgie geschuldet war, oder ob es Bali selbst ist, das mich vor zwei Jahren, bei meinem ersten Besuch, so sehr gefesselt hat.
Am meisten fasziniert mich wie sich die Wahrnehmung für einen Ort verändert, wenn man Zeit hat, ihn zu erkunden. Wo ich 2014 nur knapp zwei Wochen auf Bali verbringen konnte und nur einen Bruchteil der Insel zu Gesicht bekam, fühlt es sich hier mit quasi unbegrenzter Zeit im Rücken vollkommen anders an. Damals hielt ich die Bukit-Halbinsel mit seinen Surferstränden für den Nabel Balis. Heute, nachdem ich mit Christoph den Osten der Insel rund um Padang Bai und die Nusa-Inseln ausführlich erkundet habe, wir mehrmals im Norden waren und ich bereits über eine Woche in Ubud bin weiß ich: ich habe das letzte Mal eigentlich fast gar nichts gesehen. Ich habe damals ein Abziehbild mit nach Hause genommen.
Und das ist gut, denn so konnte ich Bali nun ein zweites Mal völlig neu entdecken.
Außerdem weiß ich jetzt: es waren nicht nur die schönen Erinnerungen sondern die Insel selbst, die sich einen festen Platz in meinem Herzen erobert hat. Aber was unterscheidet denn Bali vom Rest Asiens? Auf den ersten Blick siehts doch aus wie überall, Meer, Palmen, kleine, lachende Menschen, die für uns Europäer irgendwie alle gleich aussehen, verrückter Verkehr, zu Touristenattraktionen umfunktionierte Heiligtümer, Reis und Huhn.
Same same, but different.
Doch Bali ist wirklich anders. Zunächst ist es nur ein Gefühl. Doch der Kontrast, wenn man zum Beispiel vom muslimisch geprägten, aber dennoch sehr heimeligem, weil urtümlichen, Lombok auf Bali übersetzt, könnte größer nicht sein. Als erstes fallen einem diese seltsamen, an Fahnen erinnernden Schmuckstangen auf, die die Straßen säumen und in der Regel ein bevorstehendes, religiöses Festival ankündigen. Dann schieben sich die zahlreichen kleinen und großen Tempel in den Fokus und früher oder später läuft man in eine Gruppe bunt gekleideter Frauen, die statt Kopftuch Körbe mit Früchten und kunstvollen Gestecken auf den Köpfen balancieren und fröhlich schnatternd zu einem der zahlreichen Tempelfeste unterwegs sind. Und der balinesische Hinduismus wartet mit einer Menge dieser Feste auf.
Die fremdartige, doch sphärische Musik eines Gamelan-Orchesters dringt ins Ohr.
Die Garküchen heissen hier Warungs und verkaufen köstliches Nasi Goreng (also gebratenen Reis mit Gemüse, Huhn und einem Ei drüber) und Mie Goreng (das Pedant mit Nudeln).
Alles hier ist dank dem Tourismus auf einem subjektiv höheren Entwicklungsstand als die anderen Länder, die ich bereist habe und nur noch wenige Einheimische geraten aus dem Häuschen wenn sie einen Weißen sehen. Aber das ist okay, denn es stellt sie auf die selbe Stufe mit einem selbst, man ist nicht mehr nur eine Kuriosität, sondern wieder Mensch. Und wenn man sich nicht gerade an den Touri-Hotspots aufhält, wo Ausländer natürlich nach wie vor für wandelnde Brieftaschen gehalten werden, erlaubt es wunderbare Begegnungen auf Augenhöhe.
Christoph und ich sind weitestgehend entgegen der üblichen Touristen-Routen gereist. Statt auf den Gilis haben wir je mehrere Tage auf Nusa Lembongan und Nusa Ceningan verbracht (wir waren auch quasi live dabei als die berühmte Yellow Bridge eingestürzt ist). Wir waren fünf Nächte in Padang Bai und Umgebung, das von vielen sonst nur als Transferhafen benutzt wird, um nach Lombok und zu den Gilis zu kommen. In Ubud und Umgebung haben wir dem mörderischen Verkehr getrotzt und so viel wie möglich mit dem Mofa erkundet.
Ubud ist ohnehin ein Phänomen für sich.
Frägt man einen Tagestouristen, wie einem das als spirituelle Herz Balis bekannte Stadt gefallen hat, fällt die Antwort oftmals wenig schmeichelhaft aus. Zu voll, zu touristisch, zu viel Tand und aufdringliche Verkäufer.
In der Regel haben diese Leute aber meist nur die überlaufene Hauptstraße der Stadt, ein oder zwei Touri-Tempel und die unvermeidliche Tanz-Show am Abend gesehen. Verlässt man die ausgetrampelten Pfade, dann offenbart sich einem ein ganz anderes Gesicht Ubuds: Romantische kleine Gassen, schöne Geschäfte mit individueller Kunst, Althippies und Hängengebliebene an allen Ecken, wunderschöne Yoginis, die in engen Leggins zur nächsten Yoga-Session eilen, dazwischen gelebte Spiritualität und Religion der Einheimischen. Etwas ausserhalb findet man ganze Straßenzüge mit einem Atelier neben dem anderen, Bilder, Möbel, Glaskunst, Statuen, alles was man bei uns zu Hause auf den New-Age-Märkten feilgeboten bekommt, wird hier produziert. Wo ich bei meinem letzten Besuch nur eine einzige dieser Straßen zu Gesicht bekommen habe und dachte, hier wären bereits alle Kunsthandwerker Balis versammelt gewesen, bekam ich dieses Mal die volle Dröhnung. Und mein Herz blutete jedesmal wenn ich nichts von all den schönen Sachen mitnehmen konnte.
Doch was war denn nun mit den schmerzhaften Erinnerungen? Nun, die Lektion war spannend. Als ich einmal für ein Fotoshooting nach Jimbaran musste und unterwegs in Kuta eine Gitarre kaufen wollte, fand ich mich auf der Suche nach dem mir empfohlenen Geschäft als erstes unversehens vor genau jenem Laden am Anfang der Poppies Lane 1 wieder, in dem Vera damals ihre lange gesuchte Fransentasche gekauft hat. Ich habe sogar noch ein Foto davon wie sie die angebotenen Taschen durchsucht. Niemals hätte ich den Ort im unübersichtlichen Gewirr der Straßen Kutas bewusst wieder gefunden. Es gab noch ein paar ähnliche Erfahrungen, aber allesamt waren sie eher heilsam denn unangenehm. Wenn der Verstand dann endlich genug von Theater und Drama hat, übernimmt er wieder das Ruder und stellt all die Orte, die zuvor mit aufgeladenen Emotionen verbunden waren, wieder auf einen neutralen Status um. Und wohl dem, der dann auch noch einen guten Freund an der Seite hat, der sich geduldig die kleinen Dramen, die man sich so plastisch ausgemalt hat und die nie eingetroffen sind, anhört und mit gesundem Rationalismus zerstreut.
Schlussendlich ist es also wohl allein die Zeit, die wirklich zu heilen vermag. Die Wunderheiler, die Gurus, die Meditationen, der Hokuspokus und die Geister, die man konsultiert, anruft und liest, sie lenken im besten Fall nur ab. Alles im Körper heilt sich selbst, auch das Herz. Das Paradoxe an uns Menschen ist, dass wir das wissen. Wir wissen, dass jeder Schmerz irgendwann vorüber ist, jeder Kummer vergeht, und doch leiden wir, als gälte es jede Minute auszukosten und zu zelebrieren.
Und jetzt müsst Ihr mich entschuldigen, es hat gerade zu regnen aufgehört und in zwanzig Minuten beginnt mein therapeutisches Acroyoga im Yoga Barn.
Ihr wisst schon, für alle Fälle.
Falls doch mehr dran ist.
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