Vom Sein und dessen Subsistenz

26. 04. 2011 | Philosophie | 16 Kommentare

Ich habe heute eine Ameise gerettet. Die krabbelte über meine Tatstatur und inspizierte ein paar ihr offenbar interessant erscheinende Winkel meines Schreibtisches. Schließlich wurde es mir zu bunt, ich habe sie auf ein Blatt Papier gesetzt und auf’s Fenstersims ausquartiert. Von da aus ging ihre Entdeckungstour dann weiter, ich wünschte ihr im Stillen eine gute Reise.

Ähnliches habe ich jüngst auch mit einer Wespe und einem Maikäfer angestellt. Statt sie platt zu schlagen (was bei letzterem bestimmt eine gewisse schleimige Unordnung hervorgerufen hätte) habe ich sie nach draußen befördert.
Marienkäfer werden sowieso immer gerettet, bei Spinnen tue ich mir etwas schwerer, aber auch die kann man mit einem Aquarium-Kescher ganz gut auswildern. Die einzigen Viecher, denen ich eine derartige Behandlung bislang noch verwehrt habe, sind Steckmücken, bisher hatte ich in meiner neuen Wohnung aber noch keine zu Besuch. Dieses Experiment steht also noch aus.

Vielleicht liegt es daran, dass ich ein Parkschein-Weiterverschenker bin. Wenn noch Guthaben drauf ist, bekommt das Ticket derjenige, der nach mir in meine Lücke möchte und tatsächlich ist mir schon des Öfteren selbst solch eine nette Geste widerfahren.

Wie man in den Wald ruft, so schalt es heraus. Und irgendwann begann ich eben, nicht mehr jedes Insekt blindlings zu zerdrücken. Einige mögen nun mutmaßen, dass ich vielleicht der falschen Religion anhänge, ich bin mir aber relativ sicher, dass ich in nicht an Wiedergeburt in Form von Käfern und Würmern glaube.

Ich schätze, es liegt daran, dass ich angefangen habe, mit dem Richten aufzuhören. Es ist eine ungewohnte Schule, aber die Idee ist jene, die hinter der vielfach und meist gedankenlos verwendeten Floskel „Leben und leben lassen“ steckt. Neben dem In-Frage-stellen des vermeintlich menschlichen Rechts, darüber zu entscheiden, was leben darf und was den Tod verdient hat, weil es schädlich/nervig/unnütz ist, versuche ich ein aktives Über-den-Tellerranding (sprich: Tellarränding. Wir verstehen uns.) zu betreiben. Das beinhaltet beispielsweise das Kunststück, sich vorschnelle Urteile zu verkneifen. Vor allem, weil ich die ja meist aus einem Impuls heraus fälle. Und der basiert nahezu immer darauf, dass ich meine Maßstäbe bei meinem Gegenüber ansetze.

Ein Freund handelt nicht so wie ich es für richtig halte? Ja spinnt denn der? Sieht der Schnarchsack nicht, auf welche Katastrophe der zusteuert? Das ist doch unverantwortlich was der da treibt. Das geht nie gut. Der sollte das doch bitteschön kräftig überdenken. Oder gleich ganz anders machen. So wie ich am besten, denn ich bin ja der lebende Beweis der Klug-, Zufrieden,- Weis-, und Übermenschlichkeit. Würden es alle mir gleich tun, ach, die Welt wäre ein besserer Ort.

Allein das laute Vorsagen der beiden letzten Sätze genügt, mir die Schamröte ins Gesicht zu treiben, wenn ich in voller Fahrt wiedereinmal über jemand anderen herzuziehen ansetze. Der Blick über meinen persönlichen Tellerrand und die Reisen in die Länder zu den landschaftliche mal mehr, mal weniger reizvollen Tellerrändern meiner Mitmenschen zeigen dann meist recht schnell, wo sich die jeweiligen Schnittmengen befinden und ich kann Euch versichern, bislang hat sich mein Teller noch mit keinem anderen vollständig überlagert. Wobei das ja die Voraussetzung wäre, meine kümmerlichen Maßstäbe auf den anderen zu übertragen.
Und ganz nebenbei, ein weiser Mann sagte einst: Jeder Gedanke, den Du ins Universum schickst, wird mit 7facher Ladung wieder zurückkommen. Und dem Universum ist es scheissegal, ob dieser positiv oder negativ gedacht war.

Ich gebe zu, das ist vor allem beim zufälligen Vorbeizappen von Frauentausch, Superstars, Bauernliebeleien und Co. eine harte Lektion, aber wer bin ich schon, dass ich einfach so Ameisen zerdrücken dürfte.

16 Kommentare

  1. Ike

    Ich weiß jetzt nicht genau, was ich schreiben möchte, aber deine Einstellung und der Artikel gefallen mir.

  2. Ike

    Aber das mit den Mücken wird schätzungsweise eine echt harte Nummer…

    • Andi

      Generation Facebook, sie möchte doch einfach nur auf „Gefällt mir“ klicken. ;-)

      Was die Mücken betrifft, ich werde die zukünftig halt zuerst fragen, ob sie sich nicht eine andere Zapfstelle suchen wollen. Und erst dann schlage ich zu.

  3. Bayer im halben Exil

    Die Idee an sich finde ich gut. Aber wie willst Du das beispielsweise in Zukunft mit Deinen Filmrezensionen handhaben? Die würde ich auch als Kritik bezeichnen. Egal ob positiv oder negativ. Kritik bleibt Kritik. Auf der anderen Seite ist doch jeder Mensch auf Feedback angewiesen um sich weiter zu entwickeln. Ohne Rückmeldung eines anderen weist Du doch nie, wie Dein Verhalten ankommt und kannst Dich folglich nicht ändern oder Dein Verhalten verstärken.

  4. Andi

    Falsch verstanden. Hier gehts nicht um direkte Kritik. Dann dürfte ja kein Lehrer mehr einen Schüler kritisieren, keine Film- oder Videospielezeitschrift mehr Filme oder Spiele besprechen, keine Feuilleton mehr Politik besprechen etc. Mir gehts um das Richten, das, welches man meist unterbewusst macht und dann in Abwesenheit des Betroffenen auch ausspricht. Marke „So ein Depp“, „Wie kann er nur“, etc. Das Zwischenmenschliche, Unreflektierende, Vorverurteilende auf Basis eigener vermeintlicher Erfahrungen oder Besserwisserei.

  5. Bayer im halben Exil

    Jetzt sind wir auf einer Wellenlänge. Allerdings fällt mir dann gleich dein Kommentar zwei Zeilen drüber auf. „Generation Facebook“. Ist das nicht auch verurteilend?
    Das „Lästern“, wie ich es bezeichnen würde, verurteile ich ebenso wie Du. Trotzdem geschieht es oft nicht bewusst. Du hast Großes vor, wenn Du das gänzlich abstellen willst.

  6. Andi

    Wirst schon sehen, bald rasiere ich mir den Kopf und komme barfuß ins Büro. ;- )

  7. Andi

    Shit. Das ganze Abspecken und die Arbeit am Sixpack umsonst.

  8. Andi

    Weltklasse! Wollte am Montag am Jenbach auch eine Ameise aus purer Lust zerquetschen, habe es dann aber aus unerfindlichen Gründen dann doch sein lassen…
    Aber ich finde es klasse wie du es schaffst, meine Gedanken auf Papier zu bringen! :D

  9. agnes

    Ich empfehle meine Handhabe bezüglich der Mückenproblematik: da ich ein grundsätzlich netter Mensch bin, dürfen Mücken bei mir wohnen. Sie erhalten sogar kostenlos ein leckeres Essen! Mein Liebster wird zerstochen, ich dagegen aus Dankbarkeit schon immer verschont.
    DAS ist Leben und leben lassen.

    • Andi

      Im Umkehrschluss müsste ich mir also ein möglichst süßes Weib zulegen.

  10. Bayer im halben Exil

    Das mit dem „süßen“ Blut ist ein Trugschluss! Vielmehr liegt das am Körpergeruch. Du musst dir also jemand suchen, der noch mehr stinkt als du ;)

    • Andi

      Um ganz genau zu sein liegt es am Fett. Am Milchfett! Da fahren die Mücken drauf ab und da das tendenziell eher die holde Weiblichkeit mit sich herumträgt, muss ich mir wenn dann eine mit knackigem Hintern und Brüsten raussuchen.

Schreib was dazu!

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